Sonntag, 8. Februar 2015

Spaziergang in Weisslingen - Geburtstag

Es schneit und es ist grau an meinem Geburtstag.



An meinem Geburtstag fühle mich etwas einsam. Es haben zwar viele an mich gedacht und tele-gratuliert - Telefon, Facebook, WhatsApp, SMS und Post sei Dank - aber keine(r) meiner Liebsten ist persönlich vor Ort. Der Fotokünstler sitzt gerade in Helsinki am Flughafen, meine Familie ist im Süden, meine Freunde sind entweder in den Skiferien, krank oder haben meinen Geburtstag schlicht vergessen. Sogar der Kater hat sicherheitshalber das Weite gesucht, erschreckt durch das Reissen und Rascheln von Geschenkpapier.



Etwas traurig mache ich mich also auf meinen Spaziergang. Beim Gehen stelle ich fest, dass diese Spaziergänge wie das Leben sind: mal schön, mal anstrengend, mal erlebe ich wunderbare Überraschungen, mal komme ich kaum vom Fleck, und egal wie Wetter und Umstände sind, bleibt einem am Schluss nichts anderes übrig als weiterzugehen, einen Schritt nach dem anderen. Und irgendwann ist man dann am Ziel. Nur dass es im Leben, wie ich langsam merke, kein Ziel gibt. Es geht einfach immer so weiter, mal rauf und mal runter.



Und während ich so vor mich hin philosophiere, stelle ich fest, dass ich die ganze Zeit  gar nichts von meiner Umgebung mitbekommen habe. In Gedanken versunken und gleichzeitig offen zu sein für meine Umwelt, geht nicht. Den Blick kann ich nur in eine Richtung lenken: nach aussen oder nach innen. Ich weiss, was mir besser tut, und ich weiss auch, was ich dafür tun muss.



Ich konzentriere mich also auf meine direkte Wahrnehmung, achte auf Geräusche und Gerüche. Ich spüre die frische, feuchte Luft auf meiner Haut und schaue dem Tanz der Schneeflocken zu, wie sie leicht und verspielt vom Himmel fallen. Für einen Moment wird es heller, und kurz drückt die Sonne zwischen den Wolken durch. Vorsichtig gehe ich weiter. Ich achte, wo ich die Füsse aufsetze, denn unter der dünnen Neuschneeschicht versteckt sich die feste, unregelmässige Eisschicht, die sich in den letzten Wochen gebildet hat.



Je mehr ich mich dem Wald nähere, desto tiefer wird der Schnee. Ich spüre, wie die angefrorene Oberfläche kurz Widerstand leistet, bevor sie unter meinem Gewicht knackend nachgibt, und wie sie mich manchmal gerade noch knapp hält. Ich betrachte das messerscharf gezeichnete Profil, das die Sohlen meiner Winterstiefel im Schnee hinterlassen - es sind die einzigen frischen Spuren weit und breit.



Meine direkten Sinneswahrnehmungen führen mich zurück zum jetzigen Moment und verbinden mich mit der Umgebung.



Es beginnt heftiger zu schneien, aber ich stelle fest, dass es gar nicht so schlimm ist. Der Schnee macht mir Spass. Er weckt mein inneres Kind, verzaubert die Umgebung, dämpft die Geräusche und bringt Licht in den trüben Tag. Kalt ist mir nicht, denn das Gehen im Schnee ist anstrengend. Der frisch gefallene Schnee hat wieder sämtliche Feldwege zugedeckt und die Landschaft in eine blendend weisse Ebene verwandelt. Ich kann nur vermuten, wo mein Weg durchgeht. Wenn ich auf ihm bin, fällt mir das Gehen leicht, doch kaum setze ich einen Schritt daneben, sinke ich ein bis zu den Waden. So stapfe ich über die Felder und komme mir vor wie Indiana Jones. Und unerschrocken wie dieser pfeife ich auf den schimpfenden Bauern und wähle die Direttissima: Ich weiss, wo mein Haus liegt, und diesem stapfe ich nun in Luftlinie geradeaus zu, querfeldein durch das weisse Schneefeld. Ich kenne das Ziel, ich kenne das Gelände, was also kann schon passieren?