Sonntag, 7. Dezember 2014

Spaziergang in Weisslingen - Nebel

Spätherbst - Zeit der trüben, grauen, nass-kalten Tage. Gar nicht mein Ding.
Als ich mich endlich doch noch überwinde rauszugehen, stelle ich überrascht fest, dass es gar nicht so kalt ist, wie ich erwartet habe. Und trüb ist es auch nicht, sondern weiss... Ich bin umgeben von einer weissen Wand aus dichtem Nebel, die alles, was weiter als ein paar Meter ist, verschluckt.


Nebel - ein seltenes Naturphänomen. Hochnebel ja, das kennen wir gut im Schweizerischen Mittelland. Den ganzen Winter über setzt er sich über unseren Köpfen fest und drückt auf Temperatur, Licht und Laune, während darüber das schönste Wetter herrscht. Weisslingen liegt auf einer Hügelkuppe, und diese wenigen Höhenmeter machen oft den Unterschied aus, so dass hier  meist die Sonne scheint, während weiter unten das Land im tristen Grau versinkt. Doch heute ist Weisslingen weder unterhalb noch oberhalb der Nebelgrenze, sondern genau mitten drin.



Es ist still, stiller als sonst an einem Sonntagmorgen. Der Nebel hat alles in Watte gepackt. Geräusche dringen nur gedämpft zu mir durch, und auch ich bewege mich ruhig und leise, um diese Stille nicht zu stören. Die Feuchtigkeit hängt dick in der Luft und sammelt sich als Tropfen an Blättern und Ästen.
Auch der Wald ist von dieser ungewöhnlichen Stille erfüllt. Ein unerwartetes, überraschend fröhliches Vogelgezwitscher bringt mich in die Realität zurück.



Der Nebel lässt eine völlig veränderte Landschaft vor meinen Augen entstehen. Der Wald ist verschwunden! Nur andeutungsweise schimmert er durch das dichte Weiss vor mir hindurch. Der Nebel verzaubert, indem er verhüllt, was mir sonst so vertraut ist. Was mir immer so fest, stabil und unverrückbar erscheint, ist einfach nicht mehr da. Ganze Landstriche zaubert der Nebel kurzerhand weg, zeichnet die harten Konturen weich und verwandelt dreidimensionale Figuren - Menschen, Tiere, Bäume - in ebenmässige, gräulich-weisse Flächen.



Als ich ans Ufer des Weihers trete, erschrecke ich: Ein Reiher fliegt auf, keine zwei Meter neben mir. Schade! Ich war anscheinend doch nicht leise genug... Ich bleibe stehen, schaue um mich. Ich atme die feuchte Luft ein, spüre sie sanft auf meiner Haut und in meinem Haar. Ich schaue in das undurchdringliche Weiss hinein, erkenne schemenhaft die hohen Bäume am gegenüberliegenden Ufer. Ich lausche in die Stille hinein. Staune ergriffen.


Plötzlich ein Knall neben mir im Dickicht, ein Lärm, den ich nicht einordnen kann. Kein Mensch tönt so, kein Tier. Mit klopfendem Herzen mache ich einen beherzten Schritt in die Richtung, aus dem das Geräusch gekommen ist: Wieder fliegt ein Reiher davon - derselbe von vorhin, er war wieder zurückgekommen! Der Knall war das Plumpsen seines Körpers im seichten Wasser, wieder nur wenige Meter neben mir. Kurz ärgere ich mich über meine zweite verpasste Chance für eine intime Beobachtung und womöglich sogar ein Foto...



Ein wenig bleibe ich noch stehen, doch ein drittes Mal kommt der Reiher nicht mehr zurück. Vielleicht bräuchte ich mehr Geduld, aber ich mag nicht mehr warten. Ich bin jetzt schon eineinhalb Stunden unterwegs. Obwohl ich gar nicht bemerkt habe, wie schnell die Zeit vergangen ist, versunken wie ich war in diesem magischen Schauspiel, spüre ich jetzt meine klammen Finger. Zeit, nach Hause zu gehen, in die gemütliche Stube, zu Kerzenlicht und wärmendem Tee. Erfüllt von einem tiefen Glücksgefühl trete ich den Heimweg über die Felder an.


Gegen Schluss öffnet sich die Nebeldecke ansatzweise und lässt für einige kurze Momente den Blick frei auf einen strahlend blauen Himmel.