Donnerstag, 10. Oktober 2013

Durchhänger



Es gibt Tage, da fällt es mir schwer, positiv zu bleiben. Es sind die Tage, an denen Ungeduld, Selbstvorwürfe, Schuldgefühle, Nervosität, Selbstmitleid, Aggressivität, Undankbarkeit und ähnliche Gefühle Überhand nehmen. An solchen Tagen kostet es mich enorme Mühe, trotzdem aufzustehen, mich zu waschen, mich um meinen Kater und um mein Essen zu kümmern, den Hausalt in Ordnung zu halten und meine Übungen zu machen. Am liebsten würde ich mich stattdessen ins Bett verkriechen und warten, bis der Tag vorbei ist. Oder laut schreien.
"Jetzt auch noch die Grippe! Das hat mir grade noch gefehlt. Als ob sonst nicht schon alles mühsam genug wäre... Dann noch diese ewig graue Nebeldecke - kein Wunder... Wieso bewegt sich der Arm denn nicht endlich über den 90-Grad-Winkel hinaus? Ich übe doch schon die ganze Zeit... Oder übe ich nicht genug? Sollte ich mehr trainieren, härter? Bin ich zu ungeduldig? Wieso bin ich bloss so gereizt? Ich habe doch alles, bin umsorgt und werde gut gepflegt. Würde ich jetzt in der Dritten Welt leben... Ich bin so undankbar! Ich sollte doch zufrieden und glücklich sein und nicht auch noch undankbar! Und dann lasse ich meinen Frust auch noch ausgerechnet an meinen Liebsten aus! Ich bin so ein schlechter Mensch! Alles nervt mich, alle nerven mich, ich nerve mich!" 
So denkt es zwischendurch in meinem Kopf, wenn Wut und Frust die Oberhand gewinnen - weil es nicht nach meinem Kopf geht, weil das Leben sich nicht nach den Wünschen meines Ego richtet. Dann fühle ich mich wie ein Dampfkochtopf kurz vor dem Explodieren.



Solche Gedanken nützen mir rein gar nichts, weder im Moment, noch bringen sie mich weiter. Im Gegenteil, sie machen alles nur noch schlimmer. Ich weiss das. Trotzdem passiert es bisweilen, dass ich mich davon runterziehen lasse und mich nicht so leicht davon lösen kann.



In solchen Momenten werden meine Spaziergänge in Weisslingen zu Dampfablass-Märschen und Batterieauflade-Freiluftbäder. Im Stechschritt marschiere ich dann kreuz und quer durch den Wald, bis ich mich verschwitzt und erschöpft auf meine Lieblingsbank setze. Da sitze ich dann und schaue, und horche, und lasse die Ruhe und Unerschütterlichkeit der Natur auf mich wirken. Ich spüre dann, wie klein und unbedeutend mein kleines, stampfendes Ego ist im Gegensatz zu diesen riesigen Bäumen, zum Wind, zu den Wolken und dem feuchten Nebel, zu den wärmenden Sonnenstrahlen, dem Treiben und Zwitschern der Vögel. All das gab es schon lange vor mir und wird es noch lange nach mir geben.



Dann wird mir bewusst, dass das einfach nur ein paar Gedanken und Gefühle sind, ein Teil von mir, der rebelliert und Radau macht. Ein Teil, aber nicht das Ganze. Ich bin mehr als diese Gefühle. Ich bin Teil des ewigen Lebens und der allumfassenden Natur. Ich brauche diese schwarzen Gedanken und Emotionen nicht allzu ernst zu nehmen. Ich warte ab und irgendwann löst sich der seelische Sturm von selber auf und verzieht sich. Irgendwann ist der Hexentanz vorbei und ich bleibe zurück, erschöpft wie nach einem seelischen Schnupfen, und beginne wieder, das Leben zu geniessen.